"stücke, die ich mochte":
Die Geschichte der Low-End Models.
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Story Teil 1:
bis 05/1998

Story Teil 2:
ab 05/1998


Story Teil 3:
12/1999 - 04/2004
Low-End Models, Juli '99 (Photo: M. Schulz)
1992
  • Ines hört einer Probe der Kölner Frauenband 'Bad Girls' zu und ist fasziniert von der intensiven Ausstrahlung der Sängerin. Die Sängerin heißt Alexandra.
  • Alexandra ist begeisterter Fan von einer Kölner Frauenband namens 'W.O.Mangomarylins'. Deren Gitarristin heißt Ines.
  • Ines sieht ein Video und ist fasziniert von der intensiven Ausstrahlung einer wirbelnden Tänzerin. Die Tänzerin heißt Alexandra.
1996
  • Ines und Alexandra machen Sessions mit Leuten aus Köln. Wenn die Wege sich halbwegs im Guten voneinander trennen, war dafür kein Wutanfall von Ines ausschlaggebend.
Herbst 1996
  • Ines und Alexandra schalten bundesweit Anzeigen auf der Suche nach Bassistin und Schlagzeugerin und stellen sich für alle Fälle auf Umzüge zwischen Berlin Hamburg London und New York ein. Der einzige Erfolg ist ein Sessionwochenende in Berlin.
Herbst 1996
  • In einer Kneipe in Köln treffen Ines und Alexandra mal wieder eine Frau, die anscheinend auch Bass spielt und schon öfter mit ihnen gemeinsame Sessions machen wollte. Die Frau heißt Cintia.
  • Ines hat bei Sessions mit Cintia noch keinen Wutanfall bekommen.
Herbst 1996
  • Babsi wird in der Disco gefragt, ob sie nicht die Frau sei, die Schlagzeug spiele und ob sie bei einer Band mitmachen wolle. Babsi kennt weder die Frau noch die Band, sagt aber souverän zu. Der Name der Frau war Cintia, die Band sollte später den Namen Low-End Models bekommen. Der Rest von Babsis Nacht war bestimmt von Herzklopfen.
Nov. 1996
  • Babsi steht an einem kalten dunklen Herbstabend auf einem kalten dunklen Parkplatz eines verlassenen ehemaligen Industriekomplexes in Köln und streckt drei aus einem Auto steigenden Frauen die Hand entgegen: "Hallo, ich bin Babsi." Eine der Frauen ist die aus der Disco, die zweite hat lange Haare, die dritte ist eine Punkerin und wird es immer bleiben, und Hausbesetzer sind kriminell, wichtig auf der Welt hingegen sind Techno, eine gute Anlage im Auto und ein rasanter Fahrstil.
  • Ines hat bei Sessions mit Cintia und Babsi noch keinen Wutanfall bekommen.
  • Es kommt zu regelmäßigen Proben mit Sessions und der Arbeit an Stücken, letztere häufig bestimmt von seltsamen Assoziationsketten von Ines, meist eingeleitet mit: "Stell dir vor, ..." oder "Das ist wie..."
  • Ines ist so wahnsinnig und besteht auf Proben ganze drei Mal pro Woche.
  • Babsi kann überredet werden, die tiefe Standtom nicht mehr ausschließlich als Beistelltisch für Aschenbecher anzusehen.
  • Es gibt da etwas, was Ines nicht versteht: Unpünktlichkeit. Es gibt da etwas, was Cintia nicht versteht: Daß Ines das mit der Musik und den Terminen alles ernst meint.
  • Alexandra hört immer öfter ein Gurgeln im Ohr, Babsis Ohren pfeifen und Cintia hört schlecht. Der Entdeckung spezieller Ohrenstöpsel für Musikerinnen folgt ein reges Experimentieren und Austauschen von Erfahrungen.
  • Cintia kann die Ideen zu ihren Bassläufen tatsächlich als Noten aufschreiben!
  • Es wird Sommer. Cintia spielt am liebsten barfuß Bass. Babsi friert. Das hat nichts mit ihren Klamotten zu tun.
  • Die zukünftigen Low-End Models nennen sich Infrequent Low XXXX.
Juni 1997
  • Infrequent Low XXXX spielen ihren ersten Auftritt. In einer Werkstatt. Es ist ein Solidaritätskonzert. Anlaß: Das Sommerfest vom Handwerkerinnenhaus Köln e.V. Die Band wird weder ausgepfiffen noch ignoriert, sondern stößt auf Beifall, Aufmunterungen und Respekt. Die Low-End Models wundern sich: 75 % darüber, daß ihre Musik anscheinend doch ganz gut ist. 25% darüber, daß ihre Musik im Gegensatz noch zu Zeiten von 5 Jahren früher halbwegs verstanden und aufgenommen wird.
August 1997
  • Infrequent Low XXXX tauchen das erste Mal in der Zeitung auf: Wieder ist ein Soli-Konzert der Anlass für ihren Auftritt; diesmal feiert die Marienstraße 10 Jahre Hausbesetzung. Als Bühne dient ein alter wackeliger Pritschenanhänger. Babsi und ihre Band treffen normale nette Leute und werden gar nicht festgenommen. Cintia und ihre Band treffen normale nette Leute und unterhalten sich den ganzen Abend gut. Alexandra und ihre Band treffen normale nette Leute und tanzen noch ein bißchen. Ines und ihre Band treffen normale nette Leute und bekommen direkt das nächste Angebot für ihren nächsten Auftritt: Eine Party soll stattfinden - bei einer neuen Hausbesetzung.
  • Mittlerweile nennen sich die Low-End Models in einträchtiger Einigkeit 'Low-End Models'. Jede verbindet auf Anhieb etwas anderes damit.
  • Ines Gemütslage pendelt sich ein zwischen Wutausbrüchen und überschwenglichen Kompliments-Bezeugungen.
  • Cintia läßt ihren Worten, sich einen Verzerrer kaufen zu wollen, nach nur knapp einem Jahr bereits die Tat folgen.
  • Babsi bekundet große Freude darüber, daß die rechte Hälfte eines Schlagzeuges (die mit den Toms!) ja auch zum Bespielen geeignet ist.
  • Cintias Verspätungen drehen sich nur noch um Viertelstunden.
Nov. 1997
  • Auf dem Weg nach Köln zu dem Konzert auf der Hausbesetzung bleiben Ines und Alexandra in der Nähe von Darmstadt mit dem Auto liegen. Babsi und Cintia beschriften in der Zwischenzeit höchst gewissenhaft alle Enden von allen Kabeln höchst korrekt und fahren höchst wagemutig schon mal mit Claires Hilfe zum Auftritt los - pünktlich eine Stunde zu spät, um dort dann direkt auf Ines und Alexandra zu treffen. Statt für Licht muß der Strom für's Equipment reichen, die brennenden Kerzen werfen zuckende Schatten auf die zehn Leute, die in dem kleinen Kellerraum Platz haben. Der Rest ist froh, draußen zu stehen und damit einen halbwegs guten Sound zu bekommen. Hinterher meint ein Mann der Bassistin erklären zu müssen, wie mann Bass spielt. Zwei Mehrfachsteckdosen haben beschlossen, sich der Besetzung anzuschließen.
  • Es ist Winter geworden. Cintia verträgt das Gebläse des Heizlüfters nicht. Wenigstens wird es so aber warm. Babsi friert. Das hat nichts mit ihren Klamotten zu tun.
  • Auch Babsi mochte die Stücke zwischenzeitlich. Das war nach langen Kämpfen mit Ines und deren Vorstellungen und bevor Ines daherkam und doch noch irgendwas ändern wollte.
  • Alexandra verhaspelt sich schon von alleine nach ein paar Worten, so gut hat sie sich daran gewöhnt, immer spätestens nach der Hälfte vom Satz unterbrochen zu werden.
  • Cintia kommt immer öfter immer pünktlicher zur Probe.
Dez. 1997
  • Chantal ermöglicht den Low-End Models Studioaufnahmen. Vier Stunden Zeit stehen jeweils zur Verfügung - das allerdings oft. Schnell kommt die Routine: nur noch zwei Stunden Schlagzeug-Aufbau und Soundcheck, nur noch 1 ¾ Stunden für Soundcheck mit Bass und Kopfhörermix, dann endlich 15 Minuten aufnehmen. Abbauen und Aufräumen ist schließlich auch in 5 Minuten erledigt. Schade, daß der erste Take nicht auf Band war.
Januar 1998
  • Der erste Auftritt gegen Gage findet statt. Fünf Mark Eintritt. Auf das Podest paßt sogar ein Schlagzeug. Für die Sängerin organisiert sich die Band noch schnell ein paar Bühnenelemente, beim Soundcheck bekommen die ersten Gäste Pizza von nebenan, eine halbe Stunde später stehen der Band gar die vereinbarten Getränke zur Verfügung. Den Backstage-Raum teilen sich die Low-End Models mit diffusem Rotlicht, Aktenordnern auf den Sofas und der ausgefallenen Heizung, erst auf der Bühne wird es heiß. Ines spielt in nichts außer Top, Shorts und Stiefeln. Die Video-Filmerin hält die Kamera unter Alexandras Rock, während Alexandra singt, brüllt, flüstert, tanzt und Schokolädchen gegen Schlankheitsideale ins Publikum wirft. Die hinterher überreichten Blumen stellen die Low-End Models gerührt und besorgt direkt in Wasser. Der nächste Morgen zeigt: Die Rosen sind aus Plastik.
  • Die Temperaturen steigen kaum merklich. Alexandra und Ines tragen noch ihre langen Unterhosen, damit sie nicht frieren. Es stellt sich heraus, daß Babsi keine langen Unterhosen besitzt. Babsi friert. Das hat nichts mit ihren Klamotten zu tun.
  • Alexandra wird immer noch nicht von der Industrie gesponsort, weder als Großabnehmerin von Hustenbonbons noch bei der Ausgabe von Schokolädchen.
08.03.98
  • Der erste Auftritt außerhalb Kölns. In strömendem Regen kommen die Low-End Models dank Babsis Fahrkünsten auch bei 3 Meter Sicherheitsabstand bei Regen auf der Autobahn sicher in Siegen an. Das VEB ist schön, die Frauen nett, der Konzertsaal im ersten Stock ohne Aufzug, die Bühne richtig groß genug für vier, der Soundcheck von Pannen in die Länge gezogen, das Essen lecker aber hektisch. Ines hat Durchfall, Babsi ist schlecht, Alexandra hat keine Zeit zum Schminken und Cintia ist nicht aufzufinden. Viel zu spät fängt das Konzert an, viel zu früh ist es vorbei, viel zu wenige Stücke sind es und viel zu viel begeisterte Frauen merken erst viel zu spät, daß sie auf die Musik sich auch bewegen wollen und können. Die ersten Vorbestellungen für die erstmals öffentlich angekündigte CD werden abgegeben. Am nächsten Morgen scheint die Sonne.
  • Cintia kommt immer öfter wieder immer später. Babsi bricht ihre Ausbildung zugunsten der Musik nur schweren Herzens nicht ab. Alexandra trinkt nur noch Leitungswasser und trinkt Leitungswasser und trinkt Leitungswasser und trinkt Leitungswasser und trinkt Leitungswasser (für neun Liter am Tag Geld für Wasser auszugeben wäre dann doch etwas zu viel). Ines ist wie immer völlig unzufrieden und völlig euphorisch.
20.03.98
  • Eine angekreuzte Anzeige in der Stadt-Zeitung, ein Anruf auf ein Handy in der Fußgängerzone, ein Anrufbeantworter in München und ein Fax dazu, ein Telefonat auf englisch, ein Kurz-Besuch und wieder gibt es ein Soli-Konzert. Diesmal mit vier anderen Bands, alles tolle Bands von tollen Männern. Die Low-End Models sollen als erste spielen - damit der Abend nicht gegen Ende hin flach wird. Ausnahmsweise finden sich die vier Low-End Models schon kurz vor dem Gang zur Bühne zusammen, super! Super auch der Sound auf der Bühne, super anscheinend der Sound vor der Bühne, super das Zusammenspiel, super der Kontakt zum Publikum. Anläßlich des Inhalts der Kampagne fliegen Alexandras Schokolädchen nicht nur gegen Schönheitsideale, sondern auch gegen Hunger und andere Folgen von Ausgrenzung: 'Kein Mensch ist illegal'. Licht und Nebel verstärken die Stimmungen der Musik; hinterher bedankt sich der Lichtmischer für die anregende Musik. Mittlerweile sind die Low-End Models bereit, ihm zu glauben. Der Rest des Abends wurde zusehends flacher.
21.03.98
  • Der nächste Morgen. Grau. Ein Parkplatz auf einem ehemaligen Fabrikgelände. Ein Keller. Eine Vereinbarung. Eine Debut-CD soll aufgenommen werden. Ein anderer Termin, dafür ein eingesprungener Freund. Ein paar verlegte Kabel. Noch ein paar verlegte Kabel. Ein paar eingepegelte Mikrofone und Kanäle. Noch ein paar eingepegelte Mikrofone und Kanäle. Ein paar Ausreden. Noch ein Freund. Ein paar heimliche blöde Bemerkungen und Lästereien. Dummerweise ein aktiver Monitorweg. Ein paar Handgriffe - ein paar sitzengelassene Macker.
  • Es stimmt: Auch auf Parkplätzen und in Kellerräumen läßt es sich leben, zumindest was die wirklich wichtigen Dinge wie Essen, Fingernägel schneiden und Bass-Saiten aufziehen angeht. Nebenbei bemerkt Cintia, daß sie auch ohne Referenzton die Tonhöhe beim Stimmen absolut trifft.
Anf. April '98
  • Essen zu Hause und immer im selben Proberaum wird langweilig. Zur Rettung der Situation gehen die Low-End Models nun aber wirklich ins Studio. Diesmal aber in ein richtiges: mit einer richtigen Sitzecke mit großem Tisch, einer extra Nische mit Kühlschrank und Kochplatte und mit zwei Lebensmittelläden direkt auf der anderen Straßenseite gegenüber. Zwei Tage schmieren sie mit Claires Hilfe Brote, kochen Kaffees und Salbeitees und spielen zwischendurch zwölf Stücke ein. Hanno, der dafür die ganzen Knöpfe bedient, läßt sich mitreißen: Kaffee und Zigaretten kombiniert er durchaus mal mit Zigaretten und Kaffee.
11.04.98
  • Cintia verdoppelt die Anzahl der Länder, in denen sie in ihrem Leben war, innerhalb von wenigen Stunden: Die Low-End Models sind auf dem Weg durch Belgien nach Frankreich. Als Veranstaltungsort für das internationale Treffen haben die Lesben in Lille ein Haus besetzt. Alexandra kann als Einzige etwas Französisch, die Musik spricht allerdings für sich selbst. Schon beim ersten Stück fangen alle an zu tanzen, es wird heiß in dem kleinen Raum, Ines spielt oben ohne, in der Enge tritt ihr eine beim Tanzen das Kabel raus, Alexandra teilt sich das Mikro mit Ines. Hinterher weiß Cintia einfach nicht, wo sie schlafen soll (das Haus hat viele schöne gepflegte leere Zimmer mit vielen freien Matratzen) und zieht sich bald zurück. Ines tanzt den Rest der Nacht, als auch sie schlafen geht, ist die Party gelaufen. Für Ines auch der Rest des Wochenendes. Sie liegt immer noch im Bett, als Babsi und Cintia am nächsten Tag keine Tankstelle finden, kein Geld in der passenden Währung dabeihaben, keine Bank offen hat und kein Mensch englisch oder deutsch spricht.
Mai '98
  • Die Low-End Models beziehen eine neuen Proberaum. Cintia nimmt dies als Anlaß für ihre Entscheidung, nicht mehr zu spät zu kommen und teilt den anderen ihren Ausstieg mit. Gedankenversunken schaut sie zu, wie sich Babsi und Ines mit Claires Hilfe beim Renovieren abschuften. Alexandra liegt derweil im Bett - eine Vollnarkose war nötig, um ihrem Ohr zu Gehör frei von gurgelnden Geräuschen verhelfen zu können.
  • Alles ehemals verdiente und geliehene Geld ist weg, andere Menschen haben sie seit Monaten nicht mehr gesehen, aber ab jetzt wird alles anders, in Zukunft werden sie nur so schwimmen in Massen von Geld und Menschen: Die Low-End Models haben ihre Debut-CD fertig und werden jetzt reich und berühmt.
ab Mai '98

Fortsetzung in Teil 2!